Patricia Hämmerle: Images in which reality plays a part - Art History. Collage # 3 / Siebdruck und Zeichnung auf Mylar über Buchseite; 36 x 31,2 cm; 2012/14
Nach einem unter Literaten geläufigen Bonmot eifert der Anfänger dem Genie nach, der Könner kopiert es. Ganze Traditionen widmeten sich der Kunst der perfekten Kopie, allein die westliche stellt in der Neuzeit ganz aufs Orginalgenie ab.
Die Collage von Patricia Hämmerle gehört zu einer inzwischen mehr als 50 Einzelstücke umfassenden Serie. Für die Künstlerin, die ihre Arbeit selbst in einem explorativen Zusammenhang sieht, ist die Serie ein Ordnungssystem. Es erlaubt die Disziplinierung und bringt gleichzeitig das Neue durch die Variation des scheinbar Gleichen ins Spiel.
Über die Abbildung eines Frauenkopfes von Lucas Cranach ist eine halbtransparente Folie montiert, die ihrerseits als Träger für überlagernde Applikationen dient: in kräftigem Schwarz mäandern einige lockere Muster über die Fläche, scheinbar regellos, jedoch in deckendem Graphit präzise abgegrenzt. Darüber ist in Siebdrucktechnik ein orangefarbenes Viereck gedruckt, das dem Frauenkopf der Cranach-Figur wie ein Gesichtsschleier angemessen scheint. Und nochmals über diese Ebene ist mit einer fast technisch wirkenden, homogenen Graufarbe eine weitere Ebene montiert, ein runder Kreis in Stirnhöhe und zwei gekritzelt wirkende, schwer zu deutende Formen, die linke wirkt wie die Risszeichnung eines Keils, die rechte könnte einen Gelenkknochen andeuten.
Das menschliche Gesicht ist unhintergehbar und in seiner Individualität unüberbietbar: wir lesen die Figur, und die Applikationen der Künstlerin wirken zugleich dialogisch und irritierend; die schwarzen Wucherungen oder Risse (durchgepauste Marmorierungen, wie die Künstlerin auf ihrer Website informiert) wirken verstörend. Das orangefarbene 'Tuch' spiegelt reale Eingriffe in das weibliche Gesicht - freiwillig oder nicht - durch die Zumutung der Verhüllung. Aber auch die Figur des Originals der Kopie trägt, zeitentsprechend, ein Kopftuch, das die Haare verbirgt. Alles steht in einem Bezug und wirkt zugleich gezielt arrangiert, das Vokabular dieser Arbeit ist die Montage. Allein der Blick der Frau geht ernst und stoisch rechts am Betrachter vorbei und signalisiert Festigkeit und Unbeirrbarkeit.
Hämmerle hat ihrer Serie einen selbst bemerkenswerten Titel gegeben: "Bilder, in denen die Wirklichkeit eine Rolle spielt" - ist das nicht ein Oxymoron? Als Wanderin zwischen Fotografie und Malerei (im weiteren Sinne) ist es sie, die den Realien einen Part zuteilt, und sie macht - anders als der collagierende Max Ernst - die Eingriffe als Überlagerungen auch sichtbar. Dass es sich um "Kunstgeschichte" handle, forciert den Widerspruch noch, denn genau darin besteht ja der Eingriff: dass der scheinbar unveränderlich (gewordenen) Geschichte Realien hinzugefügt werden, die bildlich-wörtlich Sprünge, Risse, Schründe sehen/ahnen lassen. Die Kopie des Originals bleibt intakt, aber die Geschichte geht weiter.
Alle Rechte für den Text: / für die Reproduktion: Patricia Hämmerle/tart galery
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